Die Sichtbarkeit von Migration.

Eine vielfältige Gesellschaft erfordert ein ständiges Aushandeln des Zusammenlebens. Durch unsere Arbeit in verschiedenen Projekten, die sich mit Fragestellungen rund um das Thema Integration befassen, erfahren wir immer wieder, welche Herausforderungen und Chancen damit verbunden sind. Gerade in Kommunen, die bis vor einiger Zeit noch kaum oder nur wenig von Zuwanderung geprägt waren, kam es in den letzten Jahren zu spürbaren Veränderungen im Zusammenleben. In manchen Regionen ist der Migrationsanteil besonders stark angestiegen, da es fast zeitgleich mit dem Zuzug von Geflüchteten auch eine verstärkte Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem EU-Ausland (insb. aus Rumänien und Bulgarien) gab. Nicht immer stoßen diese Veränderungen auf Akzeptanz und Wohlwollen in der Bevölkerung. Zuweilen wird sogar von „tipping points“ (Umschlagpunkten) gesprochen, von dem an die akzeptable Relation zwischen Einheimischen und Zugewanderten in eine inakzeptable Situation umkippt. Eine wichtige Rolle scheint hierbei die Sichtbarkeit von Migration zu spielen. 

Häufig konzentrieren sich Mitbürger*innen mit Zuwanderungshintergrund besonders stark in einzelnen Straßenzügen oder Stadtvierteln. In der Regel bildet sich über kurz oder lang auch eine ethnische Ökonomie (von Migrant*innen geführte Betriebe oder Einrichtungen wie Cafés, Supermärkte und Treffpunkte). Durch die Veränderungen im Stadtbild wird das Thema Migration und Integration für die Mehrheitsgesellschaft plötzlich auf direkte Weise erleb- und wahrnehmbar. Jedoch ruft die zunehmende Sichtbarkeit von Migration im Stadtbild nicht selten ambivalente Gefühle hervor. So werden migrantisch geprägte Einrichtungen häufig als erstes Anzeichen für die Bildung einer „Parallelgesellschaft“ wahrgenommen und kurzerhand als Integrationshemmnis betrachtet. Gerade in Bezug auf Integrationsprozesse lohnt es sich jedoch, einen differenzierteren Blick auf die Thematik zu werfen und Forschungsergebnisse zu Rate zu ziehen.

Unter dem Stichwort „ethnische Ökonomie“ wird in der Migrationsforschung über die Rolle von Migrantenunternehmen bei der Integration von Zuwanderer*innen diskutiert. Wissenschaftler*innen kommen zu dem Schluss, dass Migrantenunternehmen unter bestimmten Voraussetzungen durchaus eine Mobilitätsfalle darstellen können, durch die Integrationsprozesse von Migrant*innen erschwert werden. So stellt z.B. die häufig zu beobachtende co-ethnische Beschäftigung in Migrantenunternehmen eine leicht zu ergreifende Alternative dar, mit der der höhere Aufwand einer Integration in die Ökonomie der Mehrheitsgesellschaft umgangen werden kann.¹ Auch wird darauf hingewiesen, dass die Zunahme an ethnischen Institutionen wie gesellschaftlichen Organisationen, Geschäften und Einrichtungen Menschen dazu verleiten könnte, sich vermehrt in die eigene ethnische Gemeinschaft zurückzuziehen.²

Sicher gibt es Fälle, in denen dies zutrifft und Migrantenunternehmen eine gesellschaftliche Separation von Migrant*innen noch verstärken. Jedoch zeigt die Forschung recht eindeutig, dass sich die ethnische Ökonomie in Deutschland eher als „Integrationsmotor“ erweist. Vor allem im Hinblick auf den Beschäftigungs- und Ausbildungsbeitrag spielen Migrantenunternehmen eine wichtige Rolle. In Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit unter Personen mit Migrationshintergrund ist nämlich hervorzuheben, dass Migrantenunternehmen deutlich häufiger Personen nichtdeutscher Herkunft beschäftigen als Unternehmen, die von „Einheimischen“ geführt werden. Infolgedessen ist es für Angehörige ethnischer Minderheiten, die auf dem regulären Arbeitsmarkt möglicherweise benachteiligt werden, mitunter leichter, eine Anstellung in der ethnischen Ökonomie zu erhalten und somit in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.³ Ferner kann gezeigt werden, dass migrantisch geprägte Quartiere und Einrichtungen gerade für Neuzugewanderte eine zentrale Rolle im Integrationsprozess spielen. Als „Sozialisationsinstanz“ im Stadtteil helfen sie Neuzugewanderten, sich in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden und bieten wichtige Informationen für einen erfolgreichen Start im Zielland, wie z.B. Wissen um Arbeitsplätze und Wohnmöglichkeiten.Abschließend lässt sich festhalten, dass der Schritt in die Selbstständigkeitsrate grundsätzlich auch als ein Ausdruck einer voranschreitenden Integration von Migrant*innen betrachtet werden kann. Schließlich geht mit der Gründung eines Unternehmens eine erhöhte Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den institutionellen Gegebenheiten im Aufnahmeland sowie der Wille zum dauerhaften Verbleib einher.5 

Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen eher problemfokussierten Wahrnehmung von Migrantenunternehmen durch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft und den sich daraus ergebenden Spannungen, könnte es sich daher als lohnenswert herausstellen, migrantisch geprägte Einrichtungen bewusst in einem neuen Licht zu präsentieren und die positiven Funktionen und Potenziale stärker zu kommunizieren. Warum also nicht einmal eine Social-Media-Kampagne zu den Integrationsleistungen von Migrantenunternehmen ins Leben rufen, um Vorurteilen zu revidieren und Ängste abzubauen? Ein Versuch wäre es wert.

 1 Vgl. Häußermann, Hartmut (2007): Effekte der Segregation, in: vhw FW 5, S. 236.

2 Vgl. Ceylan, Rauf (2006): Ethnische Kolonien. Entstehung, Funktion und Wandel am Beispiel türkischer Moscheen und Cafés, Wiesbaden, S. 86f.

3 Vgl. Ceylan, Rauf (2006): Ethnische Kolonien. Entstehung, Funktion und Wandel am Beispiel türkischer Moscheen und Cafés, Wiesbaden, S. 76.

4 Vgl. Schuleri-Hartje, Ulla-Kristina/ Floeting, Holger / Reimann, Bettina (2005): Ethnische Ökonomie. Integrationsfaktor und Integrationsmaßstab. Darmstadt, S. 61.

Vgl. Leicht, René / Leiß, Markus / Hermes, Kerstin (2006): Bedeutung der ausländischen Selbstständigen für den Arbeitsmarkt und den sektoralen Strukturwandel. Expertise für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Institut für Mittelstandsforschung, Universität Mannheim, S. 105. 

Autorin: Mareike Schmidt / Juli 2020

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