Sowohl Quartiersmanagement (QM) als auch Gemeinwesenarbeit (GWA) stellen Strategien dar, die darauf abzielen, die Lebensbedingungen in benachteiligten Stadtteilen zu verbessern. Von manchen werden die Begriffe daher synonym verwendet, jedoch sind die Ansätze nicht deckungsgleich. Doch wie genau kann das Verhältnis von QM und GWA beschrieben werden? Welche Aufgaben sind gleich, welche unterschiedlich (oder gar gegensätzlich) und wo ergänzen sie sich?

 

Beginnen wir mit einem Blick auf die Definitionen:

Bei Gemeinwesenarbeit handelt es sich um ein Arbeitsprinzip in der Sozialen Arbeit, welches „die Entwicklung gemeinsamer Handlungsfähigkeit und kollektives Empowerment bezüglich der Gestaltung bzw. Veränderung von infrastrukturellen, politischen und sozialen Lebensbedingungen fördert“. (Stövesand, Stoik 2013: 16). Die Ansätze der GWA gehen auf die „Settlement-Bewegung“ zurück, die Ende des 19. Jahrhunderts in England entstand und zum Ziel hatte, Bewohner*innen benachteiligter Stadtteile Wege zur Selbsthilfe aufzuzeigen. Das Hauptelement von GWA war von Anfang an bis heute die „Aktivierung“ und die Frage, „wie Menschen in Bewegung gebracht werden können, sich selber und gemeinsam mit anderen für ihr Wohnquartier einzusetzen und somit Resignation und Vereinzelung zu überwinden.“ (Kietzell 2002)

Der Begriff Quartiersmanagement ist deutlich jünger und existiert etwa seit den 1970er Jahren.  Besonders mit dem Bund-Länder-Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ erlebte er ab den 2000er Jahren einen regelrechten Aufschwung. Jedoch fällt auf, dass es keine einheitliche Definition gibt. Der Ansatz kann je nach Kommune und der Zielsetzung im Projektgebiet unterschiedlich ausgestaltet. Da QM ein zentrales Element des Programms „Soziale Stadt“ darstellt und hier am häufigsten zum Tragen kommt, schauen wir uns die Definition des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIFU) an, das bis zum Jahr 2015 das Programm „Soziale Stadt“ betreute. Hier wird Quartiersmanagement verstanden als ein „strategischer Ansatz zum systematischen Aufbau von selbsttragenden sowie nachhaltig wirksamen personellen und materiellen Strukturen im Quartier“, die zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen (Beißwenger 2003: 176 f.).

Auf den ersten Blick ähneln sich die Definitionen von GWA und QM stark, schließlich geht es bei beiden um die Veränderung bzw. Verbesserung von Lebensbedingungen. In der Praxis lassen sich jedoch einige nicht unbedeutende Unterschiede erkennen.

So zielt GWA vor allem auf Empowerment und die Entwicklung von Handlungsfähigkeit ab. Im Zentrum stehen dabei immer die Bewohner*innen mitsamt ihrer individuellen Stärken, Interessen und Bedürfnisse. Partizipation wird hier ergebnisoffen und konsequent nach dem „bottom-up“-Prinzip gedacht. Dies kann durchaus auch bedeuteten, Partei für unterprivilegierte Gruppen zu ergreifen. So ist es z.B. grundsätzlich denkbar, dass sich Gemeinwesenarbeit gegen Maßnahmen zur Aufwertung des Quartiers richtet, wenn die Gefahr besteht, dass hierdurch vulnerable Bewohner*innengruppen verdrängt werden.

Auch im Rahmen von QM spielen die Bedürfnisse der Bewohner*innen und deren „Aktivierung“ eine wichtige Rolle. Nicht umsonst wird GWA häufig als eine Kernkompetenz im QM bezeichnet (vgl. Kietzell 2002). Meist werden die Interessen und Bedürfnisse von Bewohner*innen jedoch nicht ergebnisoffen, sondern für einen vorgegebenen Zweck, nämlich Blick auf die Entwicklung und Planung städtebaulicher Maßnahmen, identifiziert. So soll das QM Bedarfe, Probleme und Wünsche im Quartier im Rahmen von Beteiligungsprozessen aufgreifen und in strukturierter Form an die zuständigen Stellen in der Verwaltung weiterleiten. Neben diesem (auf städtebauliche Maßnahmen fokussierte) „bottom-up“-Prinzip kommt allerdings auch ein „top-down“-Ansatz zum Tragen. So ist das QM neben der Funktion als „Sprachrohr“ für die Bewohner*innenschaft gleichermaßen dafür zuständig, Informationen zu Maßnahmen und Verwaltungsentscheidungen an die Bewohner*innen des Quartiers zu vermitteln bzw. diese für die Bewohner*innen zu „übersetzen“. In der Theorie hat das QM dabei den Anspruch, eine neutrale Vermittler*innen- bzw. Mediator*innen rolle einzunehmen und Konsens herzustellen.

In der Praxis besteht jedoch häufig die Schwierigkeit, dass es sich bei Träger*innen von QM’s um mehr oder weniger privatwirtschaftliche Organisationen handelt, die aufgrund des Auftrags von Seiten der Kommunen in einem klaren Abhängigkeitsverhältnis stehen. Letztlich sitzt also die Verwaltung am „längeren Hebel“, was das Einnehmen einer neutralen Rolle, die die Interessen beider Seiten gleichermaßen berücksichtigt, erschwert. Hierin besteht auch der zentrale Unterschied zur GWA. Zwar wird auch hier konsensorientiert gearbeitet, jedoch können Interventionen von GWA, wie oben bereits beschrieben, im Zweifel durchaus auch konfliktorientiert ausfallen. Bei QM wäre dies fast undenkbar.

Insgesamt bedeutet dies nicht, dass ein Ansatz „besser“ ist, als der andere. Es zeigt lediglich, das QM und GWA unterschiedliche Handlungslogiken zugrunde liegen und nicht in eine „Schublade“ gesteckt werden können. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch integrierte Konstellationen, bei denen die GWA vom QM mit „übernommen“ wird, als schwierig. 

Um Rollenkonflikte zu vermeiden und um Glaubwürdigkeit zu wahren, erscheint ein komplementärer Ansatz, bei dem die Aktivitäten von QM und GWA getrennt voneinander erfolgen, es jedoch eine Aufgabenteilung und enge Absprachen gibt, erfolgversprechend. So bewirkt eine Trennung nicht nur das Vermeiden von Rollenkonflikten, sondern auch, dass die einzelnen Ebenen effektiver und zielgerichteter „bearbeitet“ werden können. Während die GWA vor allem auf der Mikroebene des Quartiers agiert, hat sie Zeit, wirklich auf die Bewohner*innen – darunter insbesondere auch schwer erreichbare Zielgruppen – einzugehen, sie zu aktivieren und zu empowern. Umgekehrt hat das QM die Möglichkeit, den Fokus auf die Mesoebene zwischen Stadtteil und Gesamtstadt und damit auf die Unterstützung von diversen Kommunikations- und Vermittlungsprozessen zu legen. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, wenn GWA die Rolle übernimmt, konfliktbehaftete Themen anzugehen, während das QM dafür sorgt, dass mit dem Konflikt konstruktiv umgegangen wird. Auf diese Weise entgeht das QM dem Rollenkonflikt, der sich aus dem Abhängigkeitsverhältnis zum Auftraggeber ergibt, während es zugleich möglich ist, auf tieferliegende Probleme im Quartier hinzuweisen und bei Bedarf „unangenehme“ auf die Tagesordnung zu bringen. 

Insgesamt erscheint dieses Vorgehen als zielführend, um dem Anspruch einer ehrlichen und umfassenden Bürgerbeteiligung (d.h. auch unter Einbezug von marginalisierten Gruppen, die in Beteiligungsprozessen häufig nicht „gehört“ werden) nachzukommen und eine nachhaltige Stadtteilentwicklung gewährleisten zu können.

 

 

Literatur- und Quellenangaben:

Stövesand, Sabine; Stoik, Christoph (2013): Gemeinwesenarbeit als Konzept Sozialer Arbeit – eine Einleitung. In: Stövesand, Sabine; Stoik, Christoph; Troxler, Ueli (Hg.): Handbuch Gemeinwsenarbeit. Traditionen und Positionen, Konzepte und Methoden. Deutschland – Schweiz – Österreich. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich, S. 14-36.

Beißwenger, Klaus-Dieter, Hrsg. (2003): Strategien für die soziale Stadt. Erfahrungen und Perspektiven – Umsetzung des Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“; Bericht der Programmbegleitung. Berlin: Dt. Inst. für Urbanistik. ISBN 978-3- 88118-344-4. Online abrufbar unter: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/programme/exwost/Studien/2004undFrueher/ProgrammSozialeStadt/DL_Endbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt: 04.08.2022).

Kietzell, Dieter (2002): Gemeinwesenarbeit: eine Kern-Kompetenz im Quartiersmanagement. Online abrufbar unter: https://www.stadtteilarbeit.de/gemeinwesenarbeit/gemeinwesenarbeit-quartiermanagement/gemeinwesenarbeit-eine-kern-kompetenz-im (zuletzt: 04.08.2022).

Autorin: Mareike Schmidt/ August 2022