Kommentar/ Meinung

Als Mitte März der „Corona-Lockdown“ in ganz Deutschland und in großen Teilen Europas ausgerufen wurde, waren schon vereinzelte Stimmen in den meinungsbildenden Medien zu hören, die vor den immensen Folge- und Nebenwirkungen der Corona-Maßnahmen für das Gemeinwesen und die nationalen Ökonomien gewarnt haben.

Klar war schon zu Beginn der Krise: Die Kosten werden immens sein. Nun nach knapp drei Monaten in Zeiten der „neuen Normalität“ wird für viele Branchen jeden Tag deutlicher, auf welche gravierenden sozialen und ökonomischen Probleme Deutschland und ein großer Teil Europas in den nächsten Monaten zulaufen wird. Diese Diskussionen sind wichtig – und richtig. Eine so internationale und auf Export ausgerichtete Ökonomie wie die deutsche, muss kritisch und kontrovers über Notfallprogramme für die am härtesten getroffenen Branchen diskutieren.

Bezeichnend am Anfang der Coronakrise war, dass die Entscheiderinnen¹ aufseiten der Exekutive die deutsche Sozialwirtschaft in ihren Notfallprogrammen schlichtweg vergessen haben. Und dass, obwohl ca. 1,4 Millionen Menschen hauptamtlich in den unterschiedlichsten sozialen Berufen arbeiten, und zu einem nicht ganz geringen Teil in eher prekären Verhältnissen. Es bedurfte erst eines Hilferufes der  großen Träger der Wohlfahrtspflege in Deutschland, bis auch die gemeinnützigen Träger und Vereine Gelder aus den Corona-Notfallfonds abrufen konnten.

Zu Anfang der Coronakrise wurden von fast allen meinungsrelevanten Medien auf die großen Lasten der „Alltagshelden“ in Krankenhäusern, Pflegeheimen und auch an den Supermarktkassen hingewiesen – dies völlig zu Recht. Es ist auch verständlich, dass in einer Gesundheitskrise die pflegenden Berufe im Vordergrund rücken. Es folgten viele Berichte, über die großartigen Leistungen der vielen Menschen, in den eher unterdurchschnittlich bezahlten Berufen. Dankesanzeigen der Regierung und allgemeine Wertschätzung von Medien und Bevölkerung sind wichtig – aber auch recht billig. Es benötigte erst einen Fast-Zusammenbruch des Gesundheitssystems, dass man breit darüber berichtet, wie wichtig die Arbeit von Pflegerinnen und Kassierern für die Allgemeinheit ist. Dieser Umstand sagt sehr viel über den Grad an Wertschätzung aus, den eine nicht ganz kleine Gruppe von Entscheidungsträgern den sozialen Berufen entgegenbringt. 

Für die Profession der Sozialen Arbeit sind die eigenen prekären Arbeitsbedingungen und die unzureichende politische Unterstützung und Wertschätzung spätestens seit dem „Schwarzbuch Soziale Arbeit“ von Mechthild Seithe vermehrt ein Thema.

Aus heutiger Sicht muss man feststellen, dass dieser professionsinterne Diskurs innerhalb der Sozialen Arbeit sicher einige Aufmerksamkeit erhalten hat. Außerhalb der Sozialen Arbeit hat man davon aber nur sehr unzureichend Notiz genommen. Soziale Arbeit wird eben einfach als selbstverständlich angesehen. Zu viele Entscheidungsträger auf den verschiedensten politischen Ebenen gehen davon aus, dass die fleißigen und bescheidenden Fachkräfte ihre Arbeit schon verrichten werden. Ganz nach dem Motto: Wir wollen Fachkräfte in den Sozialen Berufen nicht mit zu viel Geld beschämen. 

Zu viele Angehörige meiner Profession haben diese Sichtweise leider übernommen und glauben, dass man harte Tarifverhandlungen nicht auf dem Rücken von den verschiedenen Adressatengruppen austragen darf. Das macht sich auch in dem unterdurchschnittlichen Organisationsgrad von Fachkräften der Sozialen Arbeit bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bemerkbar. Dabei weist ver.di seit 2014 auf die mangelnde Wertschätzung für die Soziale Arbeit in Deutschland hin und erneuerte diesen Aufruf auch während der aktuellen Coronakrise.

Auch hier muss man feststellen, dass es zu viele Fachkräfte gibt, die sich nur sehr ungern mit der Durchsetzung der eigenen Interessen im Rahmen von Gewerkschaftsarbeit beschäftigen wollen, denn Macht auszuüben klingt irgendwie „unschön“ und auch „unsozial“. Die Wahrheit ist aber vielmehr eine andere: Keine Macht zu haben und den Interessen von anderen Lobbygruppen ausgeliefert zu sein ist unschön – und am Ende teuer für die gesamte Gesellschaft.

Alle paar Jahre gibt es ein wenig Druck während der Tarifverhandlungen, die mit ein paar Prozent mehr Lohn schnell nachlassen. Die großen Wohlfahrtsträger finden sich hierbei in einem unauflösbaren Interessenkonflikt wieder, den sie bislang nicht auflösen konnten.

¹Um eine geschlechtergerechte Sprache und eine leserfreundliche Textgestaltung zu garantieren, wird die männliche und weibliche Form abwechselnd zu gleichen Teilen verwendet. Dadurch sollen immer alle Menschen inkludiert werden, egal welchem und ob sie sich einem Geschlecht zuordnen möchten.

Autor: Nick Passau / Juni 2020