Ein kritischer Blick

Ein Gemeinschaftskiosk am neugestalteten Platz mit Food-Truck und vegetarischer Küche, eine engagierte Bürgerinitiative, die sich für den Holzschnitzelweg zur Schule durch den Park einsetzt, das Künstlerkollektiv, das die alte Stadtmauer multimedial zu neuen Leben erwecken möchte.

 

Was haben sie alle gemeinsam?

Es sind Projekte und Gruppen, die einem rund um Soziale Stadt, Quartiersmanagements Stadtteilentwicklungsprojekte immer wieder begegnen. Und immer mehr.

Sie zeichnen sich dadurch aus, dass hier zunächst scheinbar genau das passiert, was erreicht werden soll: Bürger*innen werden selbst aktiv, gestalten mit ihren Ideen ihr Umfeld, bringen sich in soziale und bauliche Prozesse ein. Sie tragen zur Verstetigung der Arbeit im Quartier bei – gerade wenn die großen Förderungen wie „Soziale Stadt“ dann auslaufen.

 

Eigentlich alles gut – oder?

Bedingt, denn bei all diesen Gruppen, Initiativen und Projekten zeigt sich schnell: hier bringen sich nur Menschen aus einem bestimmten Milieu in die Gestaltung eines Stadtteils ein und sie vertreten – was durchaus berechtigt ist – dabei nur sich selbst und die Vorstellungen ihres sozialen Umfelds.

Es sind entweder die jungen, alternativen Hipster*innen, die gerade in größeren Kommunen mit frischen Ideen „ihren Kiez“ gestalten – mit Öko-Limo, grünen Ideen und umgekrempelten Jeans im Gepäck. In den kleineren Kommunen sind es dagegen die gutbürgerlichen, zumeist älteren Mitbürger*innen, die mit eher konservativeren Ansätzen den Stadtteil prägen möchten.

Und selbstverständlich sind – sowohl bei der einen wie bei der anderen Gruppe – viele spannende, gute und vielfältige Ansätze dabei, die ihre Berechtigung haben!

 

Es gibt jedoch zwei große „Aber“.

„Aber Nummer 1“: Beide Gruppen übersehen, dass sie nicht für eine Mehrheit sprechen. Das wird jedoch gerne in Anspruch genommen, oft gekoppelt an medienwirksame Aktionen, Aktivismus in den sozialen Medien und dem Gang zum/ zur Bürgermeister*in, wenn es einmal nicht so läuft, wie geplant. Denn sowohl die „Hipster*innen“ wie die Gutbürgerlichen wissen sich zu verkaufen und ihre Kontakte zu nutzen. Dadurch beeinflussen sie innerstädtische oder auf das Quartier bezogene Diskurse in einem Maße, das in keinem Verhältnis zu ihrer eigenen Mitgliedsstärke besteht.

Und hier schließt sich gleich das „Aber Nummer 2“ an, das noch viel wichtiger ist: mit Hilfe ihrer Eloquenz und ihrer Lautstärke verdrängen sie die Bedürfnisse, Ansätze, Ideen und Teilhabemöglichkeiten anderer, gerade derjenigen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen. 

Selbstverständlich ist dies nicht die Absicht dieser wirkungsmächtigeren Gruppen. Passieren tut es jedoch trotzdem.

Aber auch die Arbeitslosen, die Bildungsbenachteiligten, die Geflüchteten oder die Menschen mit Handicap (um nur willkürlich ein paar zu nennen, die tendenziell eher nicht dem Milieu der Hipster*innen und gutbürgerlichen Senior*innen angehören) haben das Recht, ihr Umfeld mitzuformen. Einen Sozialraum zu bekommen, der ihnen gefällt, der sie anspricht und in dem es Angebote gibt, die sie interessieren (und die sie bezahlen können).

Nur haben diese Gruppen zumeist nicht die Kapazitäten, das soziale Kapital oder überhaupt das Wissen von der Möglichkeit, sich einzubringen (wie im Text „Die „Anderen“ zu Wort kommen lassen?“ beschrieben). Wenn sie sich denn einmal in einen Arbeitskreis oder Bürgerinitiative vor Ort verirren, dann fühlen sie sich ziemlich schnell überfahren und kommen oft nicht wieder.

Das stellt Quartiersmanagements und Stadtverwaltungen vor die Frage: sind diejenigen, die oft zumeist zu Wort kommen auch diejenigen, die wir erreichen und einbinden möchten? Und wenn ja – sind das alle? Oder haben wir den Anspruch auch diejenigen, die auf Grund multipler Benachteiligung z.B. auf Grund von Klasse, Herkunft oder Behinderung bislang wenig oder kaum teilnehmen, zu erreichen? 

Leicht ist das nicht, denn zumeist haben diejenigen, die in Quartiersmanagements und gerade auch in Stadtverwaltungen arbeiten eher den Habitus derjenigen, die bereits erreicht werden. Und die, die erreicht werden, nehmen ja auch schon viel Raum und Zeit in Anspruch mit ihrem Auftreten und ihrer Eloquenz. Da bleibt manchmal nicht mehr viel Zeit übrig, sich noch um die zu kümmern, die eben nicht von selbst im Quartiersbüro auflaufen, die nicht fünfmal pro Woche bei den Planer*innen anrufen oder aber sämtliche Senior*innen der Nachbarschaft mobilisieren, erboste Briefe an die Lokalzeitung zu schreiben.

Vielleicht geht es aber auch über das, was eine Stadtverwaltung  – und erst recht ein von dieser Verwaltung abhängiges Quartiersmanagement – leisten kann, hinaus. Vielleicht müsste gefragt werden, ob solche Förderprogramme wie Soziale Stadt nicht komplett falsche Schwerpunkte legen. Wie kann es sein, dass unter dem Titel „Soziale Stadt“ der größte Teil der Gelder in bauliche Maßnahmen fließt? Wenn dann natürlich auch von Seiten der Verwaltung und Quartiersmanagements diese Bauvorhaben viel mehr im Mittelpunkt stehen müssen, damit diese überhaupt umgesetzt werden können? 

Wenn es um eine „soziale“ Stadt ginge, dann müsste bereits im Förderprogramm angelegt sein, dass Zeit und Raum dafür da ist, gesellschaftlich benachteiligte Gruppen nicht nur in Bauplanungsprozesse einzubeziehen, sondern mit ihnen das Miteinander im Quartier zu beleuchten und auszuhandeln. Eine wirklich soziale Stadt zu gestalten, in der diejenigen eine Stimme bekommen, die gerne überhört werden.

Der Versuch könnte sich lohnen. Nicht nur im Teilhabeprozess, sondern auch, was die Ergebnisse angeht. Denn vielleicht würden viel mehr Menschen beim Gemeinschaftskiosk während eines Spaziergangs anhalten, wenn neben der vegetarischen Quiche für fünf Euro auch ein schnöder Schokoriegel ohne Bio-Siegel für 50 Cent verkauft würde. Oder aber Menschen mit Gehilfe bzw. Rollstuhl könnten unproblematischer den Weg im Park nutzen, wenn sie sich nicht in den Holzschnitzeln verheddern. 

Es wäre vielleicht alles nicht ganz so ökologisch-schick oder gediegen.

Es wäre aber auf jeden Fall fairer und inklusiver.

Autorin: Patricia Jessen/ November 2021

Bild: https://pixabay.com/de/photos/raum-innere-design-architektur-4660847/