Die Gestaltung von öffentlichen Räumen nimmt in der Stadtentwicklung eine zunehmend wichtige Rolle ein. Schließlich sind öffentliche Räume mehr als nur physische Orte. Als Schauplätze des sozialen Miteinanders wird Ihnen das Potenzial zugeschrieben, Kontakt und Austausch zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und damit den sozialen Zusammenhalt zu fördern. Gerade in Quartieren mit einem hohem Migrationsanteil werden öffentliche Räume als wichtige Ressource für die Verbesserung des sozialen Miteinanders betrachtet.
Vor diesem Hintergrund zielen immer mehr Maßnahmen – insbesondere auch im Rahmen von Förderprogrammen wie z.B. „Sozialer Zusammenhalt“ – darauf ab, öffentliche Plätze aufzuwerten und Begegnungsräume in Quartieren zu schaffen.
Doch wie genau beeinflussen öffentliche Räume das Miteinander von Bewohner*innen? Können sie die hohen Ansprüche, die an sie gestellt werden, erfüllen – und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Potenziale für Begegnung, Interaktion und Toleranz
Zunächst einmal bieten öffentliche Räume, Plätze und Parks Gelegenheiten, andere Menschen zu sehen, zu hören oder zu treffen. Hierdurch ergeben sich Chancen für spontane Interaktionen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen (vgl. Dangschat 2011: 4). Im Gegensatz zu organisierten Veranstaltungen oder geschlossenen Räumen, wo die Teilnahme oft von bestimmten Bedingungen oder Mitgliedschaften abhängig ist, sind öffentliche Räume für alle zugänglich und können von verschiedenen Menschen gemeinsam genutzt werden.
Zudem sind Vielfalt und Verschiedenheit in öffentlichen Räumen direkt erlebbar, was die Chance bietet, andere Menschen zu verstehen und zu tolerieren (Shaftoe 2008: 5). Durch die Zurschaustellung von alltäglichen (kulturellen) Praktiken im öffentlichen Raum (z.B. das Grillen im Park) gewinnen „Fremde“ an Sichtbarkeit und werden mit der Zeit möglicherweise als weniger fremd wahrgenommen (vgl. Vaiou/ Kalandides 2009: 18). Zudem können bedeutungsvolle Kontakte entstehen: „So kann schon das Erfahren von kleinen, einfachen Gesten der Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft im flüchtigen Austausch oder aber das freundliche, angenehme Gespräch über Alltäglichkeiten in beiläufigen Begegnungen Sympathien befördern und die affektive Haltung gegenüber anderen Gruppen positiv beeinflussen“ (Wiesemann 2015: 195). Öffentliche Räume können demnach als potenzielle Lernfelder für Toleranz und Akzeptanz betrachtet werden.
Verfestigung von Vorurteile und Stereotypen
In der wissenschaftlichen Debatte gibt es jedoch auch Gegenpositionen, die die Rolle öffentlicher Räume als Orte für Begegnungen und sozialen Austausch relativieren. Kritiker*innen warnen davor, öffentliche Räume übermäßig zu idealisieren und bezweifeln, dass diese Räume, selbst wenn sie gut gestaltet sind, den hohen Erwartungen tatsächlich gerecht werden können. Schließlich sind nicht alle Begegnungen in öffentlichen Räumen positiv. Zudem bleiben Interaktionen in diesen Räumen häufig nur flüchtig und oberflächlich und es handelt sich weniger um ein aktives Miteinander, als vielmehr um ein „Aneinander-vorbei-Treffen“ (vgl. Bauman 2003: 114). Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass Begegnungen in öffentlichen Räumen sogar zu einer Verstärkung von bestehenden Vorurteilen und Stereotypen führen können (vgl. Valentine 2008: 325). Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn es zu „Momenten territorialer Verletzungen“ oder zu bloßer Sichtbarkeit ohne wirkliche Interaktion kommt (vgl. Wiesemann 2015: 193).
Sind die Erwartungen an öffentliche Räume als „Motoren“ für Interaktion und sozialen Zusammenhalt also zu hoch gesteckt?
Voraussetzungen für gelingende Begegnungen
Damit öffentliche Räume tatsächlich Orte des Miteinanders und des sozialen Austauschs werden, sind bestimmte Voraussetzungen notwendig:
1. Gestaltung und Planung: Die physische Ausgestaltung öffentlicher Räume spielt eine entscheidende Rolle. Räume müssen so gestaltet sein, dass sie Begegnungen fördern. Das bedeutet, sie sollten zugänglich, einladend und vielseitig nutzbar sein. Dabei können eine hohe Interaktionsdichte und vielfältige Nutzungsmöglichkeiten spontane und gesellige Kontakte fördern. Gleichzeitig braucht es aber auch eine ausreichende Größe und Struktur, die es Menschen ermöglicht, den Abstand zu „den Anderen“ selbst bestimmen und regeln zu können (vgl. Dangschat 2011: 6).
2. Gelegenheitsstrukturen: Öffentliche Räume sollten Gelegenheiten für gemeinsame Aktivitäten bieten. Spielbereiche, Sportfelder und spielerische Installationen schaffen Anlässe für Interaktionen. Hier treffen Menschen auf Basis gemeinsamer Interessen oder in Form von des gemeinsamen aktiven „Tuns“ (z.B. die sportliche oder spielerische Aktivität) zusammen, was dazu beitragen kann, herkömmliche Gruppengrenzen zu überwinden und neue Verbindungen zu knüpfen (vgl. Fugmann/ Karow-Kluge/ Selle 2017: 5).
3. Partizipative Gestaltung: Die Einbeziehung der Bürger*innen in die Gestaltung öffentlicher Räume kann deren Identifikation mit dem Raum stärken. Wenn Menschen die Möglichkeit haben, ihre Umgebung aktiv mitzugestalten, kann dies dazu führen, dass sie sich stärker mit ihr verbunden fühlen und offener für Begegnungen sind. Zentral ist dabei, in Partizipationsverfahren gerade auch jene Gruppen einzubeziehen, die sich eher selten beteiligen und/ oder schwer zu erreichen sind (vgl. Dangschat 2011: 7).
4. Projekte und Veranstaltungen: Gezielte Veranstaltungen, Projekte und Programme können Begegnungen in öffentlichen Räumen fördern. Beispielsweise können Gemeinschaftsgärten, Nachbarschaftsfeste und ähnliche Initiativen geeignete Plattformen für Bewohner*innen darstellen, um sich auszutauschen und sich kennenzulernen.
Die Relevanz von professioneller Begleitung
Öffentliche Räume haben also durchaus das Potenzial, Begegnungen zu fördern und zum sozialen Zusammenhalt beizutragen. Allerdings hängt dies stark von der Gestaltung, Nutzung und professionellen Begleitung dieser Räume ab. Ohne gezielte Maßnahmen und eine bewusste Planung können sie ebenso gut zur Verfestigung von Stereotypen und Vorurteilen oder gar zu Konflikten führen. Um das Potenzial öffentlicher Räume voll auszuschöpfen, bedarf es einer integrierten Planung, die sowohl physische als auch soziale Aspekte berücksichtigt.
Dabei spielt die Begleitung durch Gemeinwesenarbeit (GWA) und Quartiersmanagement (QM) eine zentrale Rolle. Durch partizipative Ansätze, bei denen Bewohner*innen aktiv in den Planungsprozess eingebunden werden, und durch die Organisation von Aktivitäten, Projekten und Veranstaltungen (auch unter Einbezug von bzw. in Kooperation mit weiteren Stadtteilakteur*innen) können GWA und QM sicherstellen, dass öffentliche Räume nicht nur physisch attraktiv, sondern auch sozial funktional sind. Diese professionelle Begleitung schafft die notwendigen Gelegenheitsstrukturen für Begegnungen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, moderiert Konflikte und stärkt das Verständnis sowie die Toleranz im Quartier.
Literatur:
Bauman, Zygmunt (2003): Flüchtige Moderne. Frankfurt am Main.
Dangschat, Jens S. (2011): Partizipation, Integration und öffentlicher Raum. In: eNewsletter Netzwerk Bürgerbeteiligung 01/2011 12.12.2011. Bonn. https://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/fileadmin/Inhalte/PDF-Dokumente/newsletter_beitraege/beitrag_dangschat_111212.pdf (08.06.2024).
Fugmann, Friederike; Dr. Karow-Kluge, Daniela & Prof. Dr. Selle, Klaus (2017): Öffentliche Räume in Stadtgesellschaftlich vielfältigen Quartieren. Nutzung, Wahrnehmung, Bedeutung – Annäherungen an die Wirklichkeit. In: Forum Wohnen und Stadtentwicklung. Heft 1 Januar – Februar 2017, S. 2-7. https://publications.rwth-aachen.de/record/690962/files/690962.pdf (08.06.2024).
Shaftoe, Henry (2008): Convivial urban spaces: creating effective public places. London.
Vaiou, Dina; Kalandides, Ares (2009): Cities of »others«: public space and everyday practices. In: Geographica Helvetica. Jg. 64 2009/1. Zürich, 2009, S. 11- 20.
Valentine, Gill (2008): Living with Difference: Reflections on Geographies of Encounter. In: Progress in Human Geography 32. S. 323-337.
Wiesemann, Lars (2015): Öffentliche Räume und Diversität. Geographien der Begegnung in einem migrationsgeprägten Quartier – das Beispiel Köln-Mülheim. Berlin.
Autorin: Mareike Schmidt/ September 2024
Bild: Foto von Benjamin Thomas auf Unsplash