Mehrfache Marginalisierung einer „unsichtbaren“ Zielgruppe

Zugewanderte und geflüchtete ältere Frauen bzw. Seniorinnen sind in unserer Gesellschaft mehrfach marginalisiert und vergleichsweise wenig präsent. Dies hat vielschichtige Ursachen, die in sozialen, kulturellen und strukturellen Faktoren verwurzelt sind. Viele dieser Frauen haben in ihren Herkunftsländern oder nach ihrer Ankunft in Deutschland traditionelle Rollen als Hausfrauen und Mütter übernommen. Dadurch sind sie oft stark in familiäre Verpflichtungen eingebunden und verfügen über ein geringeres soziales Netzwerk außerhalb ihrer Familie.

Ein weiteres zentrales Hindernis sind Sprachbarrieren. Viele der Frauen hatten bislang nicht die Möglichkeit oder Zeit, die deutsche Sprache ausreichend zu erlernen. Das Erlernen einer neuen Sprache stellt gerade im fortgeschrittenen Alter eine besondere Herausforderung dar, insbesondere wenn es an Alltagskontakten zu deutschsprachigen Personen mangelt. Zudem leiden viele ältere zugewanderte Frauen unter gesundheitlichen Problemen wie körperlichen Erkrankungen oder psychischen Belastungen, die durch ihr Alter oder ihre Flucht bedingt sind. Diese gesundheitlichen Herausforderungen können ihre Mobilität einschränken und den Zugang zu gesellschaftlichen Aktivitäten erschweren. Das Kopftuch als sichtbares Zeichen ihrer kulturellen und religiösen Identität kann zusätzlich zu Vorurteilen und Ausgrenzungen führen. Häufig werden diese Frauen aufgrund ihres Erscheinungsbildes stereotypisiert, was ihre Integration zusätzlich erschwert.

Die Unsichtbarkeit und Mehrfachdiskriminierung haben zur Folge, dass es nur wenige Angebote gibt, die auf die speziellen Bedürfnisse dieser Zielgruppe zugeschnitten sind. Dabei verfügen die Frauen über großes Potenzial: Als Seniorinnen bringen sie wertvolle Lebenserfahrungen und Zeit mit – besonders dann, wenn ihre Kinder (und ggf. Enkelkinder) bereits „aus dem Haus“ sind oder weiter entfernt leben. Dieses Potenzial könnte noch viel stärker genutzt werden.

Das Potenzial geflüchteter Seniorinnen im Blick: Das Projekt „OMA: Oldie – Muslima – Aktiv“ 

Hier setzt das gemeinsame Projekt „OMA: Oldie – Muslima – Aktiv“ der Katholischen Landvolkshochschule Oesede (KLVHS) und des Ibis Instituts an, das im Rahmen der Richtlinie „Teilhabe und Zusammenhalt“ durch das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie gefördert wird. Ziel ist es, ältere geflüchtete muslimische Frauen aus der Stadt und dem Landkreis Osnabrück zu stärken und sie an Strukturen der gesellschaftlichen Teilhabe heranzuführen.

Die Idee für das Projekt entstand aus den Erfahrungen der KLVHS in der langjährigen Arbeit mit muslimischen Zielgruppen. In diesem Rahmen wurde immer häufiger deutlich, dass viele zugewanderte muslimische Frauen in fortgeschrittenem Alter nach der aktiven Familienphase auf Sinnsuche sind. Der Fokus liegt hierbei jedoch weniger auf finanziellen Aspekten, sondern vielmehr auf dem Bedürfnis, sich in die Gesellschaft einzubringen. Auch der Wunsch, sich unter Menschen zu begeben, Anschluss zu finden und die deutsche Sprache und Kultur besser kennenzulernen, spielt bei dieser Zielgruppe eine wichtige Rolle.

Folglich wurde ein Projekt entwickelt, das die Zielgruppe an ehrenamtliches Engagement heranführen soll. Der Einstieg in ein Ehrenamt bietet den Frauen die Chance, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen einzubringen und etwas „zurückzugeben“. Durch das Engagement können sie Selbstwirksamkeitserfahrungen machen und ihr Selbstbewusstsein stärken. Zudem fördert das Ehrenamt interkulturellen Austausch und den Aufbau sozialer Netzwerke außerhalb der Familie. Gleichzeitig können diese Frauen durch ihr ehrenamtliches Engagement wichtige Vorbilder für andere zugewanderte Frauen sowie für Familienangehörige und Bekannte werden und so einen zusätzlichen Beitrag zur Integration in die Gesellschaft leisten.

Die vielfältigen Hürden und Herausforderungen machen den Einstieg ins Ehrenamt jedoch nicht leicht. Oft fehlen der Zielgruppe Erfahrungen und Vorbilder im Bereich des Ehrenamts. In vielen Herkunftsländern ist ehrenamtliches Engagement zudem anders organisiert, und in Deutschland gibt es klare Strukturen und Regeln, an denen man sich orientieren muss. Insgesamt mangelt es vielen Frauen an dem notwendigen Wissen und Selbstbewusstsein, um sich proaktiv einzubringen. Daher stehen Wissensvermittlung und Empowerment im Zentrum des Projekts.

Geschützte Räume und individuelle Begleitung als Erfolgsfaktoren 

Schon nach wenigen Monaten wurden vielversprechende Fortschritte sichtbar. Die Frauen sind deutlich gestärkt und motiviert. Viele haben durch das Projekt erkannt, dass sie auch im höheren Alter und trotz sprachlicher Barrieren aktiv werden und einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten können. Ganze 11 von 20 Frauen konnten bereits nach etwa der Hälfte der Projektlaufzeit in einer sozialen Einrichtung Fuß fassen und ihr gesellschaftliches Engagement beginnen.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die Arbeit in geschützten Räumen. Die KLVHS bietet als Heimvolkshochschule mit dem Konzept „Lebens und Lernen unter einem Dach“ ideale Rahmenbedingungen. Die Möglichkeit, im Bildungshaus zu übernachten, erleichtert den Frauen aus dem Osnabrücker Land die Teilnahme, da sie nur einmal die An- und Abreise organisieren müssen. Zudem ermöglicht die räumliche und zeitliche Distanz eine Auszeit von den alltäglichen Verpflichtungen und fördert unabhängigere Bildungs- und Empowermentprozesse. Das Seminar wird zudem konsequent zweisprachig – mit arabischer Übersetzung – durchgeführt. Hierdurch wird sichergestellt, dass alle Teilnehmerinnen den Inhalten folgen können, unabhängig von ihren Deutschkenntnissen. Dies baut sprachliche Barrieren ab und fördert ein Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit, da die Frauen sich in ihrer Muttersprache ausdrücken können.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die Einbindung von Mentorinnen, die den Frauen auch abseits der Seminare zur Seite stehen. Diese Mentorinnen, größtenteils selbst mit Fluchtgeschichte, sind bereits ehrenamtlich aktiv und dienen als Vorbilder. Sie stellen eine wichtige Brücke dar, indem sie die Frauen bei der Kontaktaufnahme und Kommunikation mit Einrichtungen unterstützen.

Gezielte Unterstützung und Abbau von Barrieren weiterhin notwendig

Der bisherige Erfolg des „OMA“-Projekts verdeutlicht, wie gezielte Unterstützung und Empowerment geflüchteter Seniorinnen neue Wege zur gesellschaftlichen Teilhabe eröffnen können. Durch die Kombination aus geschützten Räumen und maßgeschneiderter Begleitung erhalten die Teilnehmerinnen die Möglichkeit, ihr Potenzial zu entfalten und sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, marginalisierten Gruppen, die häufig unsichtbar bleiben, gezielte Chancen zu bieten.

Gleichzeitig wurde deutlich, dass noch viele Hindernisse bestehen, die überwunden werden müssen. So traten im Projektverlauf strukturelle Barrieren innerhalb der bestehenden ehrenamtlichen Strukturen zutage, die es Menschen mit Migrationsgeschichte – insbesondere aufgrund von sprachlichen Barrieren – erschweren, sich im freiwilligen Engagement zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund stellt die interkulturelle Öffnung von Einrichtungen und Organisationen eine wichtige Aufgabe dar, um das Ehrenamt insgesamt diverser und zugänglicher zu gestalten.

Insgesamt zeigt das „OMA“-Projekt eindrucksvoll das ungenutzte Potenzial geflüchteter Seniorinnen. Mit der richtigen Ansprache, Förderung und Unterstützung konnten die Frauen nicht nur Selbstbewusstsein und Wissen aufbauen, sondern auch als aktive Gestalterinnen in die Gesellschaft hineinwirken. Um den Fortschritt und die Motivation der Projektteilnehmerinnen langfristig zu sichern, soll die Unterstützung durch gezielte Folgeangebote fortgesetzt werden. Ziel ist es, nicht nur das aktive Engagement der Frauen weiter zu fördern, sondern sie auch zu stärken, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen an andere weiterzugeben. Auf diese Weise soll es gelingen, noch mehr zugewanderte und geflüchtete Frauen in der Stadt und dem Landkreis Osnabrück für ehrenamtliches Engagement zu begeistern und nachhaltige Strukturen für ihre gesellschaftliche Teilhabe zu schaffen bzw. zu festigen.

Autorin: Mareike Schmidt/ September 2024