Es gibt unzählige Beispiele für Rassismus und rassistische Konnotationen in Literatur, Kunst, öffentlichem Raum, Bezeichnungen und Begriffen. Gerade im Zuge der weltweiten „Black Lives Matter“-Bewegung haben einige Konzerne in jüngerer Vergangenheit reagiert und erklärt, umstrittene Produkte umzubenennen oder Markenlogos ändern zu wollen (z.B. Uncle Ben’s). Auch die Diskussion um Denkmäler und Straßennamen wurde in vielen Fällen wieder angeheizt. Im Juni versenkten Demonstrierende die Statue des früheren Sklavenhändlers Edward Colston im Hafen von Bristol und in Berlin wurde erst kürzlich beschlossen, die wegen ihres Namens seit Langem in der Kritik stehende „Mohrenstraße“ umzubenennen. Häufig verlaufen die Diskussionen emotional es wird darüber gestritten, ob heutzutage Dinge korrigiert werden sollten, die vor langer Zeit entstanden sind. Der „Schokokuss“ ist im deutschsprachigen Raum wohl eines der bekanntesten Beispiele, über das bereits seit Jahrzehnten debattiert wird. Auch in den Niederlanden gibt es ein Symbol, welches das Land inzwischen das ganze Jahr über auf Trab hält und Emotionen hochkochen lässt: den „Zwarte Piet“. Anhand des Zwarte Piet soll im Folgenden beispielhaft veranschaulicht werden, dass eine rassismuskritische  Auseinandersetzung mit bestimmten Begriffen, Bezeichnungen, Bildern und Geschichten zwar unbequem, aber notwendig ist.

Der Zwarte Piet ist der Gehilfe des Sinterklaas, dem niederländischen Pendant zum deutschen Nikolaus. Die Hautfarbe des Zwarte Piet ist, wie der Name bereits andeutet, schwarz. Traditionell trägt er eine Afrofrisur, goldene Creolen-Ohrringe und hat große rote geschminkte Lippen. Seine Kleidung ist auffällig bunt und erinnert an die eines Pagen aus dem 16. Jahrhundert. Kritiker*innen argumentieren, dass die Figur ein Symbol aus der Sklavenzeit sei und negative Stereotype über schwarze Menschen verkörpere. Bereits seit den 1970er Jahren gab es vereinzelt Proteste gegen die Darstellung des Zwarte Piet von Immigrant*innen aus Suriname, einer ehemaligen niederländischen Kolonie in Südamerika. Sie sahen in der Figur eine beleidigende, rassistische Karikatur und nicht selten kam es vor, dass dunkelhäutige Personen in der Öffentlichkeit aufgrund ihres Aussehens von Kindern für Zwarte Pieten gehalten wurden. Erst seit dem Jahr 2011 wurde der Protest jedoch tatsächlich lauter. Besonders nachdem Quinsy Gario, ein in Curaçao geborener niederländischer Performance Künstler, während der Sinterklaas Parade jenem Jahres ein T-Shirt mit dem Spruch „Zwarte Piet is racism“ trug und daraufhin festgenommen wurde, wurde der Zwarte Piet endgültig zum Streitobjekt. Kritiker*innen forderten, die Figur abzuschaffen. Die Mehrheit der Niederländer*innen reagiert jedoch äußerst sensibel auf Angriffe gegen ihren geliebten Zwarte Piet und weist jegliche Rassismusvorwürfe zurück.

Allein die Tatsache, dass sich während der Sinterklaas Festlichkeiten zahlreiche weiße Niederländer*innen für ihre Verwandlung in den Zwarte Piet ihr Gesicht schwarz schminken, ruft jedoch starke Erinnerungen an die Blackface-Vorstellungen in den USA des 19. Jahrhunderts hervor. Das sogenannte Blackface-Minstrel-Show Genre war eine populäre Form der Unterhaltungsmusik, bei der weiße Darsteller*innen ihr Gesicht schwarz schminkten und verschiedene rassistische Stereotype über afroamerikanische Menschen darstellten. Häufig karikierten und romantisierten die Darsteller*innen das Leben der auf den amerikanischen Plantagen arbeitenden Afroamerikaner*innen, indem sie diese als ständig fröhliche, naive, singende und tanzende Sklaven darstellten, die sich daran erfreuen ihrem „Master“ zu dienen. Auch der Zwarte Piet legt bei seinen Auftritten ein clowneskes Verhalten an den Tag, welches eine unverkennbare Ähnlichkeit mit den Darstellungen in den Minstrel Shows aufweist. So verkörpert der Zwarte Piet den kindlichen, lustigen und agilen sowie leicht dümmlichen und unbeholfen sprechenden Assistenten des alten, weisen und mächtigen Sinterklaas, der in einer überlegenen Position auf seinem Pferd sitzt. Eine gewisse Parallele zu einem hierarchischen Herr und Diener Verhältnis, wie es zur Zeit der Sklaverei existierte, ist schwer von der Hand zu weisen und gewinnt durch das Blackfacing noch an Bedeutung.

Insgesamt mehr als 91 Prozent der niederländischen Bevölkerung weist die Vorwürfe, dass der Zwarte Piet rassistisch sei und deshalb abgeschafft oder verändert werden sollte, klar zurück. Den Rassismus-Vorwürfen im Zusammenhang mit der Tradition des Blackface wird häufig entgegnet, dass die Niederlande im Gegensatz zu den USA keine historische Verbindung mit den Minstrel-Shows hätten. Immer wieder wird auch betont, wie beliebt der Zwarte Piet in der Bevölkerung sei. Es bestünde demnach nicht im geringsten die Absicht, schwarze Menschen mit der Figur anzugreifen oder zu beleidigen. Zudem sei die Figur Teil einer alten Tradition, in welcher der Zwarte Piet nunmal als schwarz gekennzeichnet ist und aus diesem Grunde auch nicht verändert werden könne. Kritiker*innen hingegen betrachten die Figur in einem erweiterten Zusammenhang und sehen in ihr eine Sammlung von zahlreichen westlichen negativen Stereotypen über schwarze Menschen. Sie verweisen auf die Ähnlichkeit des Zwarte Piet zu rassistischen Repräsentationen schwarzer Menschen in Zeiten von Sklaverei sowie darauf, dass sich schwarze Menschen durch diese Art der Darstellung verletzt und diskriminiert fühlen – auch wenn dies nicht die Intention des heutigen Sinterklaasfestes sei.

Die Debatte um den Zwarte Piet ist von vielen Emotionen geprägt, was eine Lösung des Problems nicht einfacher macht. Doch wer hat nun das Recht zu entscheiden, was rassistisch ist? Wie die Marianne Bechhaus-Gerst, Professorin für Afrikanistik von der Uni Köln erklärt, hat dies bislang die weiße Mehrheitsbevölkerung entschieden. Schließlich hat über Jahrhunderte hinweg niemand auf das gehört, was schwarze Menschen zu sagen haben. Somit wurde auch nicht wahrgenommen, wie verletzend bestimmte Bezeichnungen sind. Die Antwort auf die Frage, wer bestimmt, was rassistisch ist, ist vor diesem Hintergrund vielleicht einfacher als gedacht: Rassistisch ist das, was von Betroffenen als rassistisch wahrgenommen wird. In Bezug auf die Frage, ob rassistisch konnotierte Produkte, Figuren oder Bilder nun umbenannt oder verändert werden sollten, können sich die Kritiker*innen zudem folgende Frage stellen: Was verliere ich, wenn eine U-Bahn Station oder ein Keks umbenannt werden? In den meisten Fällen wird die Antwort lauten: nichts – außer die vermeintliche Sicherheit, nicht selbst ein Teil des Problems zu sein. Die eigenen Verhaltens- und Sprachmuster kritisch zu überprüfen und dabei ggf. zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass rassistische Konnotationen jahrelang unhinterfragt genutzt und rassistische Strukturen somit durch das eigene Handeln reproduziert werden, scheint jedoch eine Erkenntnis zu sein, die für viele einfach zu unbequem ist.

 

 

Literatur & Quellen:

Helsloot, John (2004): Nikolausfest und nationale Identität in Holland. In: Volkskunde in Rheinland-Pfalz 19(1), S. 158-170. 

St. Nicholas Center: The Continuing Evolution of Zwarte Piet, abrufbar unter: http://www.stnicholascenter.org/pages/zwarte-piet/

Tavares, Izalina (2004): Black Pete: Analyzing a Racialized Dutch Tradition Through the History of Western Creations of Stereotypes of Black People, abrufbar unter: https://www.humanityinaction.org/knowledge_detail/black-pete-analyzing-a-racialized-dutch-tradition-through-the-history-of-western-creations-of-stereotypes-of-black-peoples/?lang=de

Waterfield, Bruno (2013): Dutch „Black Pete“ Christmas custom may be racist, warns UN. In: The Telegraph vom 21.11.2013. Abrufbar unter: https://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/netherlands/10393916/Dutch-Black-Pete-Christmas-custom-may-be-racist-warns-UN.html

Autorin: Mareike Schmidt/ Oktober 2020

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